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Das Scheffenkreuz von Niederberg





Eine große Anzahl von Feld- und Dorfkreuzen aus dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben in unserer Heimat die Stürme der Kriegszeiten überdauert, welche das Rheinland seit jenen Tagen mehrfach verheerten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, zeigen sie die gleiche Formensprache des Barocks, wobei die Uebereinstimmung oftmals bis in die Einzelheiten geht. Hohlkehlen und Profile setzen in vielfachen Stufen den Sockel und die Platten zwischen dem Unterbau mit der Beschriftung, dem Kapellchen und dem bekrönenden Kruzifixus ab, wobei dessen Fuß oft kuppelartig ausgebuchtet ist. Weitaus seltener finden wir dagegen Kreuzmonumente aus der Zeit des ausgehenden Barocks.

Eine Ausnahme bildeten die Eheleute Adolph Rosenbaum und Sophia geborene Bulig zu Niederberg, denn sie weihten in ihrem Heimatort zur Ehre Gottes ein Kreuz am 18. Juni 1767. Schlicht in den äußeren Formen seines Aufbaues, zeigt dies einfache Monument am Rande der Dorfstraße als Bekrönung des „Kapellchens“ reizvolle Schmuckformen. Das hier verwendete sogenannte Muschelornament ist in seinen Ursprüngen eine naturgetreue Nachbildung der Muschelschalen des Meeres. Nicht nur bei der Ausschmückung von Steinmetzarbeiten waren damals reiche Muschelornamente beliebt, auch der Holzschnitzer bediente sich ihrer zur Belebung glatter Flächen auf Türfüllungen, Schränken und Kommoden; legen doch die Aachener und Lütticher Eichenmöbel jener Zeit, Schätze in handwerklicher und zeichnerischer Hinsicht, ein beredtes zeugnis für die eigenwilligen Schmuckformen des Louis XV. ab. Als Meister dieses Stils konnte der Aachener Johann Josef Couven in der Feinheit der Zeichnung und der Beherrschung des Materials von keinem der zeitgenössischen Künstler und Architekten erreicht werden.





Haben wir in unserem Niederberger Kreuz auch nur ein bescheidenes Beispiel jener Kunstrichtung vor uns, die uns in den Dörfern der Voreifel selten genug an Türen und Treppen alter Häuser begegnet, so erfreut es in der sonst so schmucklosen Dorfstraße den Kunstfreund dennoch durch die lebendige Beschwingtheit seiner Schmuckformen, die einen leisen Hauch höfischer Eleganz in die Behäbigkeit ländlich-schlichter Behausungen trägt.

In der Widmungschrift bezeichnet sich der Stifter als Gerichtsscheffe. Zur Deutung dieser Rangstufe mag man sich vergegenwärtigen, daß in der Zeit der vielfachen Unterteilung der größeren Territorien in kleine und kleinste Herrschaften, die oftmals nicht mehr als ein Dorf umfaßten, jene dieser Besitzungen einen eigenen Gerichtsbezirk bildete. Die Rechtsprechung wurde von einem Gerichtshof vorgenommen, der sich aus den Lehensträgern der größeren Hofgüter, der Scheffenlehen, zusammensetzte; der Vorsitz wurde durch den Burgherrn oder Lehnherrn einem Schultheiß übertragen. Der von den Scheffen bewirtschaftete Hof galt also nicht als deren Eigentum, sondern eben als „Lehen“, das heißt als ein unter bestimmten Auflagen und Bedingungen zur Nutzung übertragenes Eigentum des Kölner Kurfürsten oder des Herzogs von Jülich; seine Bewirtschaftung berechtigte, aber verpflichtete auch zur Teilnahme an den Gerichtstagen, während die erzielten Einnahmen das Gehalt der Gerichtsbeisitzer darstellten. Starb ein Scheffe, so unterlag das Hoflehen der Kurmede; es war dies eine frühe Form der Erbschaftssteuer, durch welche ein gutes Stück Vieh oder ein Pferd dem Lehnsherrn abgeliefert werden mußte. Als Entgelt wurde der Erbe seinerseits mit dem Hof und dem „anklebenden“ Scheffenamt belehnt.





Aus: Euskirchener Volksblatt vom 6. November 1954





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