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Muttergottheiten als Inbegriff germanischen Bauernglaubens





Eine neue Studie über die sogenannte Ambetgruppe, das heißt über die drei heiligen Jungfrauen, die uns im gotischen Steinrelief einer Seitenkapelle des Wormser Domes als Embede, Warbede und Willebede entgegentreten, veröffentlichte Hans Christoph Schöll unter dem Titel „Die drei Ewigen“ *) Der Untertitel „Eine Untersuchung über germanischen Bauernglauben“ zeigt bereits, daß es Schöll weniger um den christlichen Kult geht als um den Nachweis, daß in diesen Heiligengestalten Vorstellungen aus germanischer Vorzeit fortleben. Zugleich will Schöll von da aus neue Sichten auf den germanischen Bauernglauben erschließen. An Versuchen, diese Heiligengruppe auf den keltisch-römischen Matronenkult oder auf die Nornen der Edda zurückzuführen, hat es nicht gefehlt. Aber diese Versuche glückten nicht. Schöll glaubte nun, daß durch diese Heiligen, die als Gefährtinnen der heiligen Ursula bezeichnet werden, altgermanische Ueberlieferungen hindurchschimmern, so wie sie auch in den römisch-keltischen Matronenkult eingegangen waren. Die Belege will er in Sage und Brauchtum, in Volks- und Kinderlied gefunden haben. Und in der Tat läßt sich nicht leugnen, daß unendlich viele Sagen aus allen Teilen Deutschlands von drei Königstöchtern oder drei Prinzessinnen erzählen, die oft auch wilde Frauen, oder heidnische Fräulein, die saligen Fräulein, die drei Heilrätinnen, manchmal auch einfach die drei Schwestern genannt werden. Zunächst geht Schöll daran, die drei Namen zu erklären, die er als Ambet, Wilbet und Borbet liest. Philologische Nachprüfung wird ergeben müssen, ob einerseits die Lesart und andererseits die Deutung richtig ist. Ambet wird von ihm gedeutet als Erdmutter, Wilbet als Mondmutter, Borbet als Sonnenmutter, in ihrer Einheit als Inbegriff des sich immer erneuernden Lebens. Dieser sprachlichen Untersuchung läßt Schöll einen sprach- und mythengeschichtlichen Exkurs über die beiden Worte „Kette“ und „Kalb“ folgen, die eine folgen, die eine so merkwürdige Rolle in Sagen und allerhand anderen verschleierten mythischen Beziehungen spielen. Er meint, daß der Zugang hier wie in vielen Fällen nur dadurch versperrt sei, daß unbemerkt ein Bedeutungswandel der entscheidenden Stichworte vor sich ging. In „Kette“ glaubt er das untergegangene Wort kett wiederfinden zu können. Das ursprüngliche Grab, Erdhöhle und schließlich Erde überhaupt bedeutete (Otfried gebraucht um 870 das Wort ketti für das Grab Christi), und in „Kalb“ das altsächsische helpan, so daß es soviel bedeuten würde als Helferin. Dann ergäbe Kettenkalb die Erdmutter, Sonnenkalb die Sonnenmutter (das Marienkäferchen heißt in einem nordfranzösischen Kinderlied Berbelote) und Mondkalb wie Mondmutter.

Schöll führt seine Studie dann weiter, indem er Kultstätten dieser drei Muttergöttinnen nachzuweisen sucht. Sagenforschung, Orts- und Flurnamenforschung, profane und kirchliche Brauchtumsforschung, frühzeitliche Wappenforschung und Erforschung der kultischen Landschaftssprache sind ihm die Ausgangspunkte dazu. Auch auf die drei Wochentage ohne Götternamen geht er ein; weil die Bezeichnung der sonstigen Wochentage zeigt, daß sie bereits aus vorchristlicher Zeit stammt. Sonntag erklärt er als den Tag der Sonnenmutter und Montag als den der Mondmutter. Samstag deutet er als 's Ambets Tag, wie es heute noch auf alemannischen Sprachboden 's Lisbet usw. heiße. Daraus, daß der Samstag bei den Germanen also der Tag der Erdenmutter gewesen sei, will Schöll auch erklären, weshalb das Christentum diesen Tag zum Marien-Votivtag erklärt habe. Er meint, daß es niemandem und keinerlei echt religiösem Gefühl Abbruch tue, wenn gesagt werde, der Samstag sei der jungfräulichen Gottesmutter geweiht, weil er bei unseren germanischen Vorfahren der Erdmutter geweiht gewesen sei.

Auch im Weihnachtsfest und im Osterfest will Schöll Züge erkennen, die aus der Zeit der drei Muttergottheiten stammen. Er weist hin auf einen Bericht des heiligen Beda, der in seiner Schrift de mensibus Anglorum sagt, daß die Angelsachsen ursprünglich „am achten Tag vor dem ersten Januar, das heißt an dem Tag, an dem man jetzt Christi Geburt feiert“, ihr Jahr begannen. Dann fährt Beda fort: „Die Nacht selbst, unsere heutige Nacht, nannten sie damals mit einer heidnischen Bezeichnung modranicht, die Nacht der Mütter.“ („ipsam noctem nunc nobis sacrosanctum tunc gentili vocabulo modranciht, id est matrum noctem, apellanbant“) diesen viel umstrittenen und nie ganz geklärten Bericht glaubt Schöll nunmehr dadurch deuten zu können, daß er das Julfest nicht als das Fest der Wintersonnenwende, sondern als das Fest der Mondmutter deutet (Jul-Wil-Wilbet = Mondmutter). Nun aber heißt der Heiligabend heute noch in manchen Gegenden Karsabend. Das gibt Schöll Veranlassung, die „Nacht der Mütter“ in Verbindung zu setzen zu der Frühlingsfeier. Auch das Wort Christmas-Carol ist ihm dabei Wegweiser. Kar und Carol bedeutet nach ihm Grab und Grabgesang. Zugleich weist er hin auf das Felsengrab an den Externsteinen und auf andere alte Steinsärge und sucht diese als kultsymbolische Gräber aus der Zeit des Mütterkultes anzusprechen, an denen zumeist in Erdhöhlen im kultischen Spiel und begleitet von Gesängen da Geheimnis von Tod und Wiedergeburt gefeiert worden sei. Das Christentum habe dann später an solche Volksbräuche angeknüpft, die Bezeichnung Kar an das Heilige Grab des Herrn übernommen und die Grablegungszeremonien der Karwoche an die altgermanischen Kultbräuche angelehnt. Und wie Ostern sei auch Weihnachten in vorchristlicher Zeit ursprünglich ein Totenfest gewesen. Dabei erklärt Schöll das sogenannte wilde Heer als das Wil-heer, das Totenheer der Mondmutter. Auch streitet er ab, daß es eine Göttin Hel gegeben habe, sondern er meint, daß Hel nichts weiter bedeute als der hohle Berg, die Höhle, darin die Erdmutter wohnt und wohin die Toten ziehen. (Walhall sei erst eine Erscheinung der Völkerwanderung.)

Ein weiteres Kapitel verfolgt dann den Kult dieser drei Muttergottheiten in die christliche Zeit. Schöll weist hier hin auf die geschlossenen Gruppen von drei heiligen Jungfrauen, auf die drei heiligen Frauen innerhalb der Vierzehn Nothelfer und auf die Darstellungen der Anna-Selbstdritt. Auch die Tatsache, daß der Marienkult in germanischen Landen so schnellen Eingang in die Volksfrömmigkeit fand, will er dadurch erklären, daß „Unsere Liebe Frau“ den germanischen Bauer an alle Vorstellungen erinnert habe. Aus solchen alten Erinnerungen seinen auch die „schwarzen Muttergottes“ entstanden, indem das Volk seine Vorstellungen von der Erdmutter nunmehr auf die Mutter des Herrn übertragen habe. Ein Blick in die Welt des Märchens, der Sage und des Aberglaubens beschließt dies Kapitel.

Das letzte Kapitel lautet „Von den Müttern zum männlichen Gott“. Es will die Frage des Uebergangs zum christlichen Vatergott untersuchen, stellt aber nur kurz dar, daß auch zu christlicher Zeit alte Volksfrömmigkeit am Leben geblieben sei. Im übrigen wird auf einen zweiten Band verwiesen. Auch hinsichtlich der Frage nach dem Verhältnis der Mutter zu der bisher bekannten Götterwelt der Germanen - sicherlich eine entscheidende und wichtige Frage - wird auf diesen noch erscheinenden Band verwiesen. Doch deutet der Verfasser an, daß der bäuerliche Volksglaube seiner Ueberzeugung nach älter sei als der Wodanskult. Wie heute noch Dinge, die vor zwei- bis dreitausend Jahren einmal allgemeines Glaubensgut waren, in christlichen Bräuchen weiterlebten, so hätten damals, als die christlichen Missionare nach Germanien kamen und auf den Wodankult stießen, auch aus einer Zeit, die dreitausend Jahre davor lag, Vorstellungen und Bräuche im Volke erhalten gewesen sein können.

Dieser Gedanke des Verfassers ließe sich vielleicht noch ausbauen. In vorgermanischer Zeit sind als indogermanische Gruppe die Italiker nach Italien gezogen. Sollten diese den Kult der Sybillen mitgebracht haben? Man weiß, daß als die Griechen zu Beginn des achten Jahrhunderts v. Chr. nach Cumae kamen, sie hier bereits den Kult der Erdgöttin vorfanden. Seit mehreren Jahren werden die Grotten von Cumae auf Veranlassung Mussolinis durch Prof. Ameder Maiuri ausgegraben. Diese Grabungen haben bereits ganz neues Licht auf die Geschichte dieser Kultstätten geworfen. Man hat nicht nur das Gewirr der Höhlen und Schächte freigelegt, sondern auch oben auf dem Felsen einen Tempel des Sonnengottes Apollo gefunden. Wenn man das Bild des freigelegten Einganges der Grotte, das Prof. Bombe im Heft 4 der Umschau in Wissenschaft und Technik veröffentlichte, betrachtet, könnte man es auf den ersten Blick fast mit einem Bild der Externsteine verwechseln, wie ja auch die Erdgrotte unten im Felsen und das Sonnenheiligtum auf der Höhe des Felsens einander entsprechen. Auf bisher ungeklärte Zusammenhänge weisen auch die steinernen Ringwälle in England hin, die den Namen maiden walls tragen. Wenn wir uns nicht irren, war es vor rund einem Jahr, daß in der Times das Rätsel dieser Bezeichnung aufgegriffen wurde. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß sich das Rätsel vielleicht löse, wenn die Deutschen herausbekämen, woher der Name „Magdeburg“ stamme. In der Tat, manche Dinge sind uns so geläufig geworden, daß wir vergessen haben darüber nachzudenken. Gewiß, Schölls Deutung klingt zunächst unmöglich, aber sie gewinnt, je mehr man seine Gründe hört und auf sonst übersehene Dinge hingewiesen wird. Auf jeden Fall sind seine Darlegungen ernster Nachprüfungen wert, und zwar sowohl von der religiösen Volkskunde her wie auch seitens der germanischen Mythologie, die von Schöll neu gesehen wird, indem er einen germanischen Bauernglauben entwickelt, der dem Götterbilde der Edda selbständig gegenübersteht.

Dr. Joseph Hofmann

*) Schöll, Hans Christoph: Die drei Ewigen. Eine Untersuchung über germanischen Bauernglauben. Jena: Eugen Diederichs Verlag. 170 S. 4,60 M.

Aus: Unbekannt (Euskircherner Volksblatt?), Frakturschrift 30er Jahre, Sammlung Marliese Wintz Kreuzau, Nachlaß Elisabeth Schumacher Blens / Pfarrer Andreas Pohl Abenden/Blens





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