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Badua




Im Reich der Matronen von Armin Renker

Es gibt Wälder mancher Art in unserem Eifelland, Wälder, deren hohe Baumstämme klaren, weiten Durchblick gestatten, die sich von den Hochflächen hinab in die Täler erstrecken, daß du in den Talgrund blicken kannst, dessen Wiesen tief unter dir das liegen. Es gibt aber auch Wälder mit dichtem Unterholz, undurchsichtig und undurchdringlich, die des Försters ordnender Hand zu widerstreben scheinen, Wälder, die ein Ungesagtes in sich bergen, ein Geheimnis aus Urzeiten. Als ein solcher Wald ist mir immer das große Gebiet zwischen Münstereifel und Pesch erschienen, das an ganz verborgener Stelle im Waldesdunkel den keltisch-römischen Tempelbezirk der „Matronae Vacallinehae“ in sich birgt. Wenn du dieses Waldgelände betrittst, umfängt dich ein Schauer eigner Art. Es ist uralter Wald, bebuscht und von verwachsenen Gräben durchzogen, deren Bedeutung du nicht deuten kannst. Mitten darin liegt der „Heidentempel“, wie er im Volksmund genannt wird. Das erhaltene Mauerwerk läßt eine umfangreiche Anlage erkennen, die Reste eines Tempels mit quadratischem Innenbau und weitausladenden Säulenumgang und eines weitern noch größeren Gebäudes in basilikaähnlicher Anlage.

In diesem Gebiet, das von den Eburonen bewohnt war und nach deren Vernichtung von den unter römischen Einfluß stehenden Ubiern, wurden die Mütter verehrt als die Schützerinnen von haus und Hof, Familie und Sippe. In der nördlichen Eifel sind unzählige Matronensteine aufgefunden worden, Bildnisse der einheimischen Ortsgötter mit den verschiedensten lateinischen Namens- und Ortsbezeichnungen.

Vor wenigen Monaten ist nun auch in unserer engsten Heimat im Kreise Düren eine gallo-römische Kult- und Wohnstätte aufgefunden worden. Auch hier ist es ein geheimnisvolles Waldgebiet, das diese unter dem Boden liegende Reste durch die Jahrhunderte zäh verborgen gehalten hat. Der „Badewald“, der sich von den Dörfern Berg bei Nideggen und Wollersheim auf viele Kilometer gen Südwesten erstreckt, gehört zu den von Sagen und Überlieferungen umwitterten einsamen Wäldern. Wer ihn durchwanderte, damals, als er noch stand, wurde auch unwillkürlich von den Schauern der Vergangenheit berührt. Es war ein unübersichtliches Waldgelände, hügelig auf- und niedersteigend. Das Eigentümlichste an ihm waren aber tiefe, runde Löcher von erheblichem Umfang, die teilweise mit Wasser ausgefüllt, teilweise mit Gestrüpp bewachsen, in grünen Waldesdunkel verborgen lagen. Wenn es in früheren Zeiten schon Bomben gegeben hätte, so wäre die Erklärung einfach gewesen. Man hätte gesagt, dort haben die Flieger einen „Bombenteppich gelegt“.

Die tiefen Löcher und Gruben gaben dem großen Waldgelände etwas Unheimliches, und dazu kam die Sage von einer Stadt, Badua genannt, die in uralten Zeiten in diesem Walde gelegen haben sollte. Diese Stadt soll versunken sein, und das solle auch der Grund sein, warum sich so viele Vertiefungen in dem Walde befänden.

Badua! Diesen Namen überliefert uns der Volksmund. Eigenartige Fassung eines sagenhaften Ortes in der „Bad“, dem großen Waldgebiet, mit lateinischer Endung. Die Forscher wissen, daß an dieser Stelle die alte Römerstraße, die von Venlo in Holland an die Mosel ging, vorbeiführte. Es ist bekannt, daß die Eisenstraße, auf der die Erztransporte vor sich gingen, ihren Weg über dieses Gebiet nahm. Wer im Winter oder Frühjahr über die Felder ging, dem werden die vielen rötlich leuchtenden Ziegel und Röhrenstücke aufgefallen sein, von denen manche Äcker und Wege geradezu übersät waren. Mancher Ortsbewohner der Gegend hatte sich darüber schon seine Gedanken gemacht.

Der große Badewald, der in meiner Jugendzeit viele Quadratkilometer bedeckte, ist nicht mehr da. Man hat die Stämme geschlagen und den Boden kultiviert. Wo einst Wipfel an Wipfel rauschte, geht im Frühjahr der Pflug, steht das Getreide im Sommer hoch im Halm. So wird Stück für Stück gerodet. Im Frühjahr 1954 war man auch dabei, mit der „Rodehexe“ Wurzelstock auf Wurzelstock aus dem Erdboden zu ziehen. Da gab es an einer Stelle mitten im ehemaligen Waldgelände unerwarteten Widerstand. Der Greifer hatte einen schweren behauenen rötlichen Sandsteinblock erfaßt und aus seinem Gefüge gelöst. Und es zeigte sich, daß mehrere solcher Blöcke im Erdreich lagen, dicht unter der Oberfläche. Die Stämme hatten ihre Wurzeln um sie geschlungen, und ein Teil von ihnen zerbarst, als sie ans Tageslicht gebracht wurden. Es waren gleichmäßig behauene Quadern eines Tempels, der wie der Heidentempel von Pesch etwa 5 Meter im Geviert gemessen hatte und von einer Säulenvorhalle von etwa 9 x 9 Meter umgeben gewesen war. Es waren aber nur die Trümmerstücke übrig geblieben. Man hatte den Tempel geraubt. Der Matronenstein, der wahrscheinlich in ihm verehrt worden war, konnte nicht mehr aufgefunden werden. Dafür aber barg dieser von so viel rätselhafter Vergangenheit trächtige Boden etwas anderes, etwas Unerwartetes. Nicht weit von dem Tempelbezirk, an einer Wegekreuzung - gerade dort, wo wir so viele hellrote Dachziegel auf dem Feld gesehen hatten - fand man eine Handbreit unter dem Erdboden eine Siedlung. Die Fundamente eines Hauses wurden freigelegt, ein regelrechter Keller, aus schweren Steinen gemauert, in den eine steinerne Treppe hinabführte. Man forschte und grub weiter, und es zeigte sich, daß Mauerreste in der ganzen Umgebung vorhanden waren. Es war also offensichtlich ein Gutshof, eine gallo-römische Ansiedlung von großem Umfang. Ihre Lage unmittelbar an der alten römischen Straße zeigt, welche Bedeutung diese Stelle gehabt hat.

Es war etwas Erregendes zu wissen, hier, ganz nah deiner Heimat, haben schon vor 1700 Jahren Menschen gelegt, Menschen wie ich und du, sie haben in Häusern gewohnt, wie wir, sie waren mit Kulturvölkern in Verbindung oder gehörten selbst jenem Kulturvolk an, das im fernen Rom das Zentrum unserer abendländischen Welt geschaffen hatte. Hier in der Eifel war Kolonialland, ein Gebiet, das unter dem Einfluß des damals mächtigsten Volkes Europas stand. Nur widerwillig hatten sich die Eburonen kolonisieren lassen. Ob an dieser Stelle die „Fliehburg“ war, die Julius Caesar auf seinem Zuge durch die Eifel für den Nachschub seiner Legionen benutzte, die „Gutswache“ der Kimber und Teutonen, ob hier die Kohorten Caesars unter den Feldherren Sabinus und Cotta von den Eburonen zusammengehauen wurden, darüber ist sich die gelehrte Forschung nicht einig.


Matronenstein Fundort Zülpich

Rom! Schon damals war es der Mittelpunkt der Welt. Von dort stammt unsere Gesittung, stammt unser Recht. Rom ist die Hauptstadt aller europäischen Kultur. Unsere Vorfahren haben das antike Rom, diese ungeheure Herrlichkeit, in Trümmer geschlagen, sie haben selbst den kleinsten Erdenfleck, der von ihnen besiedelt war, vernichtet auch in unserem Badewald. Alles, was über dem Erdboden stand, wurde abgetragen, ein jedes Kunstwerk zerschlagen oder als Baustein vermauert. Aber der Geist war mächtiger als die mächtigen Steine, er rächte sich an den Barbaren und nahm ihnen alles, was sie an eigenem Geist besaßen. Ihre Dunkelheit blieb durch Jahrhunderte bestehen. Und nun wuchs der dichte Wald über den Mauerresten und hüllte alles in seine grünen Schleier ein. Die ganze große Vergangenheit, der Gewerbefleiß des in der „Metallprovinz“ tätigen Volkes verfiel in einen Dornröschenschlaf. Übrig blieb nur die raunende Sage, die von Geschlecht zu Geschlecht getragene, die Sage von der Stadt Badua im geheimnisvollen Badewald.

Dunkel ruht vor mir das Gewölbe des uralten Gebäudes, in das eine Treppe hinabführt. Ganz nahe bei dieser Stelle lag das Heiligtum mit dem Bildnis der Matronen. Ich muß an Faust denken, der ins Reich der Mütter herniedersteigt:

„Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,
Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit ...
Die Mütter sind es!“

Faust schaudert es.

„Die Mütter! Mütter!
's klingt so wunderlich!
Wohin der Weg?“
„Kein Weg!“ ist die Antwort. „Ins Unbetretene,
Nicht zu Betretende, ein Weg ins Unerbetene ...
Von Einsamkeiten wirst umhergetrieben ...“

Im Scheine eines glühenden Dreifußes wird er die Mütter sehen.

„Die einen sitzen, andre stehn und gehen,
Wie's eben kommt. Gestaltung, Umgestaltung,
Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung,
Umschwebt von Bildern aller Kreatur.“

Die Matronensteine ruhen im Erdboden an geheimen Stellen, sie weilen im Reich der Mütter, und es gelingt selten genug einem Glückskinde, einen von ihnen zu bergen. Wohl, daß dem so ist, daß diese Mäler, die Ewigkeit und Vergangenheit in sich vereinigen, unversehrt ruhen! Was wird einst von unserem unseligen flüchtigen Geschlecht übrig bleiben, wenn der Rechen des Schicksals über uns hinweggegangen ist? Neben den Trümmerhaufen der großen Städte werden es die gesprengten Bunker und die Panzersperren sein, die sich durch die Felder ziehen. Von uns werden keine Gottheitsbilder im Erdboden ruhen, denn wir besitzen sie nicht. Seit den Madonnen der Gotik, die noch aus demütigem Gottvertrauen geschaffen wurden, schufen wir uns noch Bilder und Gestalten, die uns selbst, aber nicht das höchste Wesen über uns verkörperlichen. Wir sind arm geworden, trägt auch ein jeder ein besseres Gewand als vor einem Jahrhundert, innerlich arm. Wir sind flüchtig geworden und fliehen vor jedem Ernst, vor jeder Verinnerlichung. Wir sind roh geworden in unserer Gesinnung und gleichgültig gegenüber dem, was einst war und was einst sein wird.

Der geheimnisvolle Badewald hat sein Geheimnis preisgegeben. Sollten wir nicht nachdenklich werden bei der Überlegung, daß auch damals Menschen lebten, Menschen wie du und ich, daß sie einer Verehrung lebten, die unmittelbar in die christliche überging, denn die drei Matronen auf den alten Steinen wurden ins Christentum übernommen, und die drei Heiligen werden auch heute noch in einer unserer Dorfkirchen verehrt.


Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1961







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